Unser Thema: Die interessanteste und umfassendste Serie der 1930er Jahre:
Die 9. Serie
gebaut vom 23. Juni 1931 bis 5. Januar 1933
Interessant, weil Packard den Spagat schaffen musste, Modelle, deren Entwicklung zu Boomzeiten begonnen wurde, in eine äusserst heftige Wirtschaftskrise zu lancieren.
Und umfassend, weil die Serie mit zwei Baureihen begann und mit vier endete - mehr als je zuvor oder danach. Eine gab es schon in der 10. Serie nicht mehr...
1928 und 1929 waren die bis anhin besten Jahre für Packard und die Autoindustrie. Noch im ersten Quartal 1929 explodierte der Automobilmarkt förmlich; ein Plus von 49,9 % war die Folge. Packards Erfolg war noch grösser. Die Marke hatte eine Position inne, die man am ehesten mit jener von Cadillac in den 1950ern oder in Europa von Mercedes in den 1960ern vergleichen kann.
Wenigstens bis zum 29. August 1929, dem „Schwarzen Donnerstag“ an der Börse. Danach war alles anders. Es folgte eine Wirtschaftskrise welche die Autoverkäufe aller Hersteller einbrechen ließ.
Am schlimmsten straf es das gehobene Preissegment. Viele gingen in der Folge Konkurs oder mussten aufgeben. Vor 1935 schlossen Traditionsunternehmen wie Franklin, Locomobile, Marmon, Peerless, Rolls-Royce of America oder Stutz. In den Jahren darauf starben Auburn, Cord, Duesenberg und Pierce-Arrow; Cadillac gab seine Nebenmarke LaSalle auf.
Anders ausgedrückt: Alle Hersteller, die sich uf den Luxusmarkt spezialisiert hatten und sich nicht (wie Cadillac, Lincoln und Chrysler Imperial) an einen Konzern anlehnen konnten, mussten schliessen. Ausser Locomobile, das samt seinem Mutterkonzern, Durant, unterging. Aber das ist eine gaaaanz andere Geschichte...
Und Packard...
In dieser Situation, in der jeder Fehler tödlich sein konnte, machte man bei Packard das, was man am besten konnte: Ein ohnehin ausgereiftes Produkt weiter verbessern.
Serie "8½"
Zunächst musste Packard die Halde an unverkauften Serie 8 Modellen im Werk und bei den Händlern loswerden. Sie hatte die volle Wucht des Börsenschocks abbekommen; das erste was in den Haushalten zurückgestellt worden war, war die Anschaffung eines neuen Autos. Dazu kam, dass das Facelift erneut besonders zurückhaltend ausgefallen war. Anders usghedrückt: Es braucht einen Experten um Packards der 6., 7. und 8. Serie auseinander halten zu können...
Das Management hatte in dieser Situation eine clevere Idee: Es wurden Kits mit Teilen der neuen Serie zusammengestellt (Kühlermaske, Stossstangen, Scheinwerfer), mit denen Händler ihre Fahrzeuge etwas "aufpeppen" konnten um sie besser verkäuflich zu machen.
Wirkliches Einzelstück: 1932 Packard 904 Individual Custom 8 Waterhouse Sport Sedan (conceptcarz)
9. Serie
Dabei waren auch die Änderungen an der 9. Serie, die ab Ende Juni 1931 bei den Händlern stand, keineswegs revolutionär. Chefdesigner Werner Gubitz brachte kleinere aber effektive Retouchen an. Die 9. Serie unterscheidet sich von der 8. optisch vor allem durch eine elegantere Kotflügellinie und einen angedeuteten „Spitzkühler“. Alle Baureihen, also auch die preiswerteren, erhielten Motorhauben mit seitlichen Klappen statt Kühlschlitzen. Zuvor waren diese für den Standard Eight optional gewesen.
Die Fahrgestelle wurden überarbeitet und erhielten eine Kreuztraverse zur Verstärkung. Neu waren die vom Fahrersitz aus dreifach verstellbaren, hydraulischen Stoßdämpfer. Die gehobeneren Modelle erhielten ausserdem die automatische Zentralchassis-Schmierung System Bijur und eine Schalterleichterung für das Vierganggetriebe.
Und Packard änderte zum wiederholten Mal sein Namens- und Nummerierungssystem. Der Grund für ersteres ist schwer nachvollziehbar, für letzteres hingegen logisch: Das bisherige System (drei Ziffern, wovon die erste für die Serie und die beiden folgen für den Radstand stehen, funktionierte nicht mehr weil teilweise verschiedene Baureihen aus Rationalisierungsgründen den gleichen Radstand hatten. Daher gibt die erste Ziffer (ab 10. Serie: die ersten beiden) wie bisher die Serie an und die letzte die Modellreihe resp. Modellreihe und Fahrgestell. Die 0 dazwischen hat keine Funktion.
Eight 901 und 902
1932 Packard Eight (902) Club Sedan (Ar-chief)
Der 1928 eingeführte "kleine" Reihenachtzylinder mit 320 ci (5.2 Liter) leistete nun 135 statt 110 HP, das Modell hiess jetzt Eight statt Standard Eight.
Offene Tourer wie dieser Eight Sport Phaeton (902) waren bis Ende des Jahrzehnts praktisch verschwunden. (Ar-chief)
Der preiswerteste Eight, der 901, war nur als 4dr Sedan und einem Radstand von 129½ Zoll (3290 mm) erhältlich. Alle anderen Eight (902) hatten einen Radstand von 136½ Zoll (3467 mm).
1932 Packard Eight Model 902 Coupe Roadster (Ar-chief)
Das Armaturenbrett des Roadsters. Der untere Hebel ist die Handbremse, der obere die Verstellung der Stossdämpfer ("In = hard; out = soft"). Die Beschriftung war verbesserungswürdig... (Ar-chief)
der seitengesteuerte 320 ci Reihenachtzylinder wie er 1932 in Light Eight und Eight verwendet wurde (hier in einem 902 Coupe Roadster) (Ar-chief)
Für den Eight war optional der "Harmonic stabilizer front bumper" lieferbar. Mit zusätzlichen Gewichten (!) in den Enden wurde für mehr Fahrkomfort gesorgt. Ausserdem kosteten Dual Sidemount mit oder ohne Covers extra; ebenso Zigarettenanzünder, Suchlicht, Positionslampen auf den Kotflügeln, Gepäckträger ($97) und Spezialkoffer ($ 45) dazu. Lackierte Drahtspeichenräder kosteten $ 50 extra, WWW-Reifen noch eimal $ 10, ausserdem gab es Sonderlackierungen ($ 110) und Steinschlaggitter für den Kühler vergleichsweise günstige $ 35.
Eight Deluxe (903 und 904)
1932 Packard Eight Deluxe (903) Coupé-Radster(conceptcarz)
Das größere Modell hieß nun Eight Deluxe (903, 904), alle Fahrgestelle waren mit 142½ (3620 mm) oder 147½ Zoll (3747 mm) etwas länger.
Auf dem längeren Radstand gab es mehr Karosserievarianten, darunte etliche aus dem Individual Custom Eight Katalog
1932 Packard Eight Deluxe Individual Custom Dietrich Sport Phaetonn (904). Dezenter geht eine Zweifarbenkombination nicht: Moss Agate Grey, Akzente Aztec Olivine Brown, Pinstriping in weiss. Die Figur ist von Lalique und aus Kristallglas. (conceptcarz)
Auch für den Eight Deluxe war optional der "Harmonic stabilizer front bumper" lieferbar. Extra verrechnet wurden Dual Sidemount mit oder ohne Covers, Zigarettenanzünder und Borduhr.
Light Eight 900
Light Eight (900) 5-pass. Sedan anlässlich der Präsentation am New Yorker Automobilsalon im Januar 1932 (Packard Info)
Die großen Neuigkeiten wurden am 9. Januar 1932 nachgeschoben und rundeten die Modellpalette nach oben und nach unten ab. Letzteres war klar: Packard brauchte dringend ein Volumenmodell. So entstand der neue Light Eight Modell 900.
Das elegante Light Eight (900) 5-pass. Sedan-Coupé (Ar-chief)
Das Fahrgestell war von jenem des vormaligen Standard Eight 826 abgeleitet. Es erhielt ebenfalls die X-Traverse und vorne eine weitere K-Traverse. Der Radstand wuchs von 127½ auf 127¾ Zoll. Es standen nur vier, allerdings neue, Karosserien zur Wahl: 5-sitzige Sedan und Coupe-Sedan sowie 2/4 sitziges Stationary Coupe und Roadster Coupe.
Die Ausstattung war etwas einfacher und der Wagen erhielt eine eigenständige, modische Front mit unten vorgezogener Kühlermaske ohne thermostatgesteuerte Stäbe. Der Light Eight war etwa 500 kg leichter als der Eight, was ihm im Vergleich deutlich sportlichere Fahrleistungen verlieh. Der Preis war sehr attraktiv. Doch gerade darin lag das Problem des Light Eight: Bei identischer Motorisierung bestand ein viel zu grosser Preisunterschied zwischen den beiden Baureihen. Wohl gab es vom Eight 902 weit mehr Karosserievarianten; doch die gängigsten deckte auch der Light Eight ab.
Armaturenbrett des Light Eight (900) mit Di-Noc Holzimitation(Ar-chief)
Aufpreispflichtig waren für den Light Eight Dual sidemounts ohne oder mit Cover, zweites Ersatzrad hinten, Zigarettenanzünder, 2. Schlusslicht (rechts), Gepäckträger am Heck, durchgehende Stosstange hinten und Positionslampen auf den Kotflügeln. Zu den Rädern fehlen die Angaben. Serienmässig waren Scheibenräder montiert. Die für den Eight lieferbaren lackierte Speichenräder passten auch, also dürften etliche vom Händler nachträglich montiert worden sein.
1932 Packard light Eight 2/4-pass. Roadster (conceptcarz)
Light Eight waren bis zu 500 kg leichter als Standard Eight. Das wirkte sich nicht nur positiv auf den Verbrauch aus, wichtiger noch waren die Fahrleistungen. Zweifellos war der Light Eight eine überlegenswerte Alternative zum Standard Eight und dem Kunden stellte sich nicht nur die Frage nach vergleichbaren Konkurrenzprodukten (zum Beispiel von Buick oder Chrysler) sondern auch ob der Preisunterschied zum Standard Eight gerechtfertigt war. Er betrug gegenüber dem 902 immerhin knapp 1000 USD oder den Gegenwert eines Mittelklassewagens und knapp 500 USD gegenüber dem 901 Sedan. Light Eight Roadster und 2/4 Coupe waren zudem bei sportlichen Fahrern beliebt weil sie vergleichsweise kompakt und schnell waren.
Twin Six 905 und 906
1932 Packard 905 Twin Six Coupé-Roadster (conceptcarz)
Das Modell am oberen Ende der Preisskala erschien nur weil seine Entwicklung bei Ausbruch der Wirtschaftskrise bereits zu weit fortgeschritten war als dass man es noch hätte stoppen können. Ganz bestimmt brauchten die USA keinen weiteren Zwölfzylinder. Doch genau den brachte Packard heraus. Nach dem von 1915 bis 1923 gebauten Vorgänger (dem ersten in Serie gebauten V12-PKW überhaup) wurde er wiederum Twin Six genannt - nur für diese Serie, danach wurde er zum Twelve.
445.5 ci Twin Six Motor (conceptcarz)
Der Motor war völlig neu und eigentlich für einen Fronttriebler konstruiert. Aber das ist eine gaaaaanz andere Geschichte...
Jedenfalls hat er einen Hubraum von 445.5 ci (7.3 Liter) und macht daraus 160 HP @ 3200 U/Min. Die Zylinderbänke sind in einem Gabelwinkel von 67° angeordnet mit praktisch waagrechten Ventilen. Der Verbrennungsraum war teilweise im Block angeordnet weshalb Packard von einem "modified L-head design" sprach. Der Motor hatte hydraulische Stössel und den ersten Fallstromvergaser der Marke (Stromberg EE-3).
Packard rationalisierte die Produktion, indem für den Twin Six ein (fast) identisches Fahrgestell wie für die grossen Achtzylinder verwendet wurde; zugleich waren deren Karosserien untereinander austauschbar.
Wie der Eight Deluxe war der Twin Six also mit 142½ (905; 3620 mm) oder 147½ Zoll (906; 3747 mm) Radstand erhältlich. Ausser je einem Sedan und einer Limousine waren alle 906 Individual Custom.
(906) und 147½ Zoll ()
Radstand lieferbar
904 906
1932 Packard 906 Twin Six Individual Custom Dietrich Convertible Sedan (conceptcarz)
Letzteres war eine Anpassung zur Vereinfachung der Sonderaufbauten, die damit zwischen Eight Deluxe und Twin Six kompatibel waren (und sogar die gleichen Typennummern trugen). Ähnlich wie es Cadillac mit seinen exklusiven Fleetwood-Karosserien machte, baute auch Packard die meisten Sonderaufbauten selbst. Diese waren mit einem Schild Custom-built by Packard gekennzeichnet. Die Sonderkarosserien von Dietrich - auch als Eight Deluxe - sind an der horizontal geteilten Frontscheibe erkennbar.
Die Verkäufe von Eight Deluxe und Individual Custom Eight brachen weiter ein auf noch 1657 Exemplare (8. Serie: 3345). Da hilft auch der Hinweis auf den neuen Twin Six mit gerade mal 548 Exemplaren nicht. In der 7. Serie waren noch 8006 grosse Wagen verkauft worden.
Zur Unterscheidung der einzelnen Baureihen hatte Gubitz ein einfaches aber effektives Mittel: Ab Werk kamen Eight und Eight Deluxe mit einer verchromten Kühlermaske und lackierten Stäben. Beim Twin Six war es genau anders herum (was diese Autos optisch noch verlängert) und der Light Eight hatte ohnehin seinen "Schneepflug"-Schnauze. Allerdings waren Kombinationen davon auf Wunsch ebenfalls erhältlich; ein Umstand, von dem auch manche Restaurateure schon gehört haben...
Die 9. Serie wird trotz ihrer langen Laufzeit üblicherweise dem Modelljahr 1932 zugeordnet.
1932 Packard 905 Dietrich Sport Phaeton. Dies ist eine nachrägliche Umkarossierung. (conceptcarz)