
Donnerstag, 14. Dezember 2017
Liebe Gemeinde,
Euer Adventskalenderfredredaktor hat das Programm umgestellt und bringt ausnahmsweise zwei Türchen zum gleichen Thema nacheinander. Es geht also weiter mit der Snow Cruiser Story. Bildmaterial ist in grösserer Zahl verfügbar als es hier verwendet werden kann; teilweise ist es auch kopiergeschützt. Am Ende des Artikels findet Ihr Link zu weiteren Bildern und auch wmv-Videos.
Der Snow Cruiser wurde im August 1939 begonnen und fristgerecht fertiggestellt. Unter grosser medialer Aufmerksamkeit wurde das Monstrum auf öffentlichen Strrassen von Chicago über 1021 Meilen (1640 km) zum Marinestützpunkt in Boston MA überführt. Inzwischen hatte sich die Regierung eingeschaltet, Geld bereitgestellt und den U.S. Antarctic Service (USAS) als zuständige Behörde eingesetzt. Damals wie heute ging es auch um die Sicherung von Bodenschätzen.
Die Überführung löste ein riesiges Medienecho aus. Die Route hat Euer Adventskalenderfredredaktor anhand der Presseinformationen rekonstruiert.
24. Oktober 1939
Am 24. Oktober 1939 wurde der fertiggestellte Snow Cruiser der Öffentlichkeit vorgestellt, wobei "fertiggestellt" nicht "fehlerlos" bedeutet. Die Crew arbeitete praktisch die ganze Nacht davor an der Behebung verschiedener Mängel. Eine Fahrt durch die Stadt wurde gekürzt, weil sich einer der hydraulischen Wagenheber ausgefallen war. Poulter erklärte der Presse, dass die Fahrt ja unternommen würde, um Mängel vor Beginn der Expedition abzustellen. Dass so etwas heute bewilligt würde, ist schwer vorstellbar.
Mittwoch, 25. Oktober 1939
Normalerweise wurde das Fahrzeug mit Allradantrieb gefahren aber nur mit den vorderen gelenkt. Es gab eine Polizeieskorte, die an den Staatsgrenzen ausgewechselt wurde. Wenn es eng wurde, konnten alle vier Räder mitlenken. So "parkierte" man auch am Strassenrand zur Essenspause oder für Reparaturen. Eine niedrige Brücke unterfuhr Poulter, der das Fahrzeug meistens lenkte, indem er die Luft aus den Rädern liess.
Donnerstag, 26. Oktober 1939
Schon im 40 km entfernten Gary IN hatte der Snow Cruiser erhebliche Verspätung. Er traf erst am Morgen des 26 Oktober ein. Hier fanden erfolgreiche Testfahrten auf Sand statt, die von etwa 5000 Zuschauern beobachtet wurden. Sie dauerten etwa drei Stunden, danach wurde die Fahrt fortgesetzt. Hinter dem Snow Cruiser fuhren eigens Abschleppwagen, umbeim Ausweichen von der Straße abgekommene Autos wieder flott zu machen.

Columbia City OH heute
Am zweiten Tag kam es in Warsaw IN zu einer Verzögerung, als sich eine Brücke als zu schmal erwies; ein Fehler, der vermeidbar gewesen wäre, denn die Strecke war zuvor erkundet worden. In Columbia City IN streifte der Snow Cruiser einen am Straßenrand abgestellten Truck. Am Snow Cruiser wurde ein Nabendeckel einderückt und der LKW wurde leicht beschädigt. Zeitverlust entstand, weil der Snow Cruiser danach durchgecheckt werden musste und hinterher eine weitere schmale Brücke wartete.
Samstag, Sonntag und Montag, 28. bis 30. Oktober 1939



Pech in Lima OH
Kurz vor Lima OH übernahm Dr. F. Alton Wade, der vorgesehene Fahrer in der Antarktis, das Steuer. Nach nur zehn Meilen und mit einer Geschwindigkeit von knap 25 MPH geschah das Unglück: Der Snow Cruiser kam von der festen Straße ab, durchschlug einen Zaun und rutschte vor den Augen zahreicher Schaulustiger langsam ins Bett des Pike Run Creek, wo er in Schräglage liegen blieb. Verletzt wurde niemand. Die Nachricht vom Zwischenfall verbreitete sich wie ein Lauffeuer, sodass, nach Schätzungen der Polizei, übers Wochenende 125.000 Zuchauer kamen, um sich das Missgeschick anzusehen. Manche gingen dafür 5 Meilen zu Fuss zum Unfallort, und es entstand ein temporäres Geschäft: Augenzeugen verkauften Fotos vom Unfall, und nicht wenige Grundeigentümer vermieteten ihre Wiesen als Parkplätze. Der Durchgangsverkehr wurde umgeleitet.
Die Besatzung war entschlossen, das Fahrzeug mit eigenen Mitteln zu bergen - wie sie es in der Antarktis auch hätte tun müssen. Äusserlich war das Mobil unbeschädigt. Defekt waren die Radnabenmotoren auf der linken Seite, der Lenkmechanismus sowie einige Hochdruckleitungen.
Notdürftig repariert, konnte das Gefährt die Reise fortsetzen, allerdings brach nahe Upper Sundusky OH eine Ölleitung, wodurch erneut zwei Stunden verloren gingen. Es kamen Fragen auf, wie das Ding denn die Antarktis meistern solle, wenn es bereits Schwierigkeiten damit hatte, Ohio zu durchqueren. Poulters gelassene Antwort: Der Snow Cruiser sei für die Antarktis gebaut, nicht für die USA...

Zeitgenössische Postkarte des Goodyear-Werks in Akron OH

Akron Municipal Airport. Im Hintergrund der Hangar für den Goodyear Blimp, ein Luftschiff.
Mittwoch, 2. November 1939
Der Snow Cruiser war nahe Akron OH, als Expeditionsleiter Byrd in Boston ankündigte, das Fahrzeug würde zurückgelassen, wenn es nicht rechtzeitig einträfe. Die Abfahrt des Schiffes wurde vom 4. auf den 11. November verlegt; offiziell wurde ncht bestätigt, dass der Snoiw Cruiser verantwortlich war für die Verzögerung. In Akron fuhr der Snow Cruiser bei Goodyear vor und übernahm zwei Ersatzräder.


Viel Volk in Barberton OH

Erie PA, 1922
Freitag, Samstag, Sonntag, Montag 4. bis 7. November 1939
Das Pech begleitete den Snow Cruiser weiterhin. In Erie PA erhielt das Fahrzeug von General Electric zwei nagelneue Ersatzmotoren für die Radnaben an der linken, malträtierten Seite. Der Austausch verlief nicht ohne Probleme und wurde erst am Montagmorgen fertig. Bei der Abfahrt brach erneut eine Ölleitung. Poulter hatte noch über 600 Meilen vor sich...
Freitag, 11. November 1939
In der Presse tauchten in Zusammenhang mit dem Snow Cruiser längst Attribute auf wie "verhext", "sorgenvoll" oder "glücklos". Byrd hatte überlegt, den Snow Cruiser in Philadelphia zu übernehmen, aber Poulter erreichte am Freitag die Küste von Massachusetts.

Pavilion NY
Samstag, 12. November 1939
Das Mobil fuhr die Strecke von Pittsfield nach Framingham PA - und geriet in den größten Verkehrsstau, den Neuengland bis dato gesehen hatte. Er war selbstgemacht; die Menschen wollten das Gefährt mit eigenen Augen sehen. 70.000 Fahrzeuge verstopften alle Straßen auf den letzten Meilen.
Ausserdem brach das Telefonnetz beinahe zusammen...
Ein völlig übermüdeter Poulter entschied, aus Sicherheitsgründen in Framingham zu übernachten. Tausende besuchten den Liegeplatz am Abend und in der Nacht. Die "New York Times" schätzte die Besucherzahl auf eine unglaubliche Million.
Sonntag, 13. November 1939
Am nächsten Morgen wurde ein 10t-Kran organisiert, der Autos und Trucks beiseite schaffte, wenn sie die Weiterfahrt des Snow Cruisers behinderten. Nur noch ein kleiner Schaden war zu verzeichnen: In Boston-Wellesley räumte der Cruiser die Glaskugel einer Straßenlaterne ab. Und dann bog er, mit Poulter an den Lenkhebeln, zum Boston Army Wharf Pier ein, an dem USS North Star lag, das Schiff, das trotz allem gewartet hatte.
Montag, 14. November 1939
Poulter gab Interviews. Er zeigte sich überzeugt vom Snow Cruiser, der ohne Tests, wie sie jeder neue PKW ohne weiteres absolvieren musste, auf die Strasse gekommen war. Die Macken wären jetzt ausgetrieben...
Indessen wurde die Verschiffung vorbereitet. Dazu mussten nicht weniger als 30 Fuss des Hecks abgetrennt werden.


USS North Star nimmt Fracht auf...


... und läuft aus. Der Snow Cruiser steht quer auf dem Vorschiff.
Dienstag, 15. November 1939
Poulter wartete die Flut ab und fuhr den Snow Cruiser auf das Schiff, wo er quer auf dem Vorschiff verzurrt wurde. Dann legte die "North Star" ab.
Gegen Ende der Reise wurde die Passage stürmisch. Snow Cruiser wurde besser befestigt und überstand die Reise schadlos.
11. Januar 1940
North Star erreichte Antarctica am 11. Januar 1940.
12. Januar 1940
Die North Star ankerte in der Bucht der Wale. Es wurde entschieden, dass für das Entladen des Snow Cruiser eine Anlegestelle an der West-Basis, auch "Little America III" genannt, am besten geeignet war. Es wurde eine Rampe aus Baumstämmen gebaut.
Wieder geschah beinahe ein weiteres Unglück. Beim Entladen brach das Mobil durch die Rampe und blieb stecken. Poulter wollte vermeiden, dass das Fahrzeug ins Hafenbecken stürzte und gab Vollgas. Das Mobil landete unsanft auf dem Eis.
Dies ging so weit glimpflich aus. Die eigentliche Katastrophe war eine andere: Der Snow Cruiser schaffte kaum die zwei Meilen zum Lager. Er war schlicht zu schwer und die profillosen Reifen drehten praktisch nutzlos in den Kuhlen im weichen Schnee, insbesondere hinter den Schneehaufen, die sich vor den drehenden Rädern bildeten.
Möglicherweise wäre die Situation nicht hoffnungslos gewesen. Mit einiger Wahrscheinlichkeit hätte eine andere Getriebeübersetzung geholfen, aber es gab keine. Der Snow Cruiser erhielt einen Unterstand und diente Expeditionsteilnehmern als wahrscheinlich teuerste Hotelunterkunft seiner Zeit.

Winter 1940
Dr. Wade unternahm in aller Stille einen letzten Versuch. Er hoffte, dass die Kälte des polaren Winters den Boden hart genug machte. Es funktionierte. Am besten mit einer Doppelbereifung aus zusätzlich an der Hinterachse angebrachten Ersatzrädern. Und im Rückwärtsgang. Dann gab es einen Blizzard und danach war der Boden wieder zu weich.
1. Februar 1941
Europa befand sich längst im Krieg. Den USA drohte, ebenfalls hineingezogen zu werden. Die Expedition wurde vorzeitig abgebrochen. Weil die Regierung hoffte, die Forschung bald weiterführen zu können, liess man das ganze Material zurück. Auch den Snow Cruiser. Die nächste Expedition fand 1946 statt, aber an einer anderen Stelle. Anfang der 1960er Jahre brach ein grosses Stück des Schelfs ises weg, auf dem sich die Station samt Snow Cruiser unter meterdickem Eis befand und driftete in die Ross Sea. Vieles spricht dafür, dass der Snow Cruiser auf dem Meeresgrund liegt. Obwohl: Ganz genau weiss das niemand...
Quellen: Special Interest Auto, The MoTor, Life Magazine, The Old Motor, Old Cars Weekly, Wikipedia
http://theoldmotor.com/?p=111903http://www.joeld.net/snowcruiser/snowcruiser.htmlhttp://www.joeld.net/snowcruiser/snowpics.htmlNB: Ein Blick auf die Uhr zeigt, dass die zusätzliche Nachtschicht nicht ganz gereicht hat. Die Fotos sind erstmal grob vorsortiert und werden nachträglich eingeordnet.
N.B.: Bilder ergänzt und sortiert.