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Ultimativer Adventskalenderfred 2013

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Ultimativer Adventskalenderfred 2013

Beitrag #16 von chief tin cloud*RIP* » 03.12.2013, 02:42

Dienstag, 3. Dezember 2013

Liebe Gemeinde,
Es muss ein imposanter Anblick gewesen sein wenn Harley Earl in den 1940er- und 1950er Jahren abends nach Hause fuhr.
Nicht nur, dass er ein Hüne von einem Mann war, um 195 cm gross und kräftig gebaut. Dazu seine legendären Anzüge, perfekt geschnitten von den besten Schneidern der Stadt – und in ausgesuchten Farbkombinationen. Etwa weisses Leinen, oranges Hemd und eine eisblaue Kravatte dazu. Und dazu ein Auto, wie es kein zweites gab. Buchstäblich.


(conceptcarz)



Harley Earls Daily Driver war das erste Konzeptfahrzeug der Automobilgeschichte. Es war tiefschwarz, zweisitzig, offen und hatte ein "Boattail" Heck.



(conceptcarz)

Der Buick Y-Job entstand in Earls Verantwortung, der vom Buick-Präsidenten Harlow T. Curtice 1937 die Zustimmung zum Bau und ein Budget von $ 50'000 erhielt. Technische Hilfe erhielt Earl vom Buick-Chefingenieur ''Charles A. Chayne''. Die Entwurfskizzen stammen jedoch nicht von ihm sondern von ''George Snyder'', dem späteren Designchef von Oldsmobile. Snyder kam 1934 vom Rolls-Royce Karossier Brewster, der kurz zuvor hatte schliessen müssen, zu GM, und arbeitete im „Advanced Studio“, das künftige Formen ausprobieren sollte.


Pebble Beach 2008, nach 2003 zum zweiten Mal gezeigt.
(conceptcarz)



(Ar-chief)

10 Jahre nach Earls Eintritt bei GM wurde die berühmte „Art & Colour Sextion“ 1937 umbenannt in „GM Styling Division“. Als Folge der vielen Schliessungen von Auto- und Karosserieherstellern konnte Earl stets auf hervorragende Fachleute zurückgreifen. Dazu gehörten Gordon Buehrig (der „Vater“ des Cord 810), Franklin Hershey (Murphy, Hudson), Bill Mitchell, oder die GM verbliebenen Clare MacKichan, Art Ross und Ned Nickles, letzterer Buick-Designchef. Eugene Bordinat von Ford und Richard Teague (Chefdesigner von Packard, kurz von Chrysler und sehr lange von AMC) arbeiteten auch zeitweilig für Earl.

Snyder wurde mit dem Ausarbeiten des Designs beauftragt und erhielt dabei Unterstützung von Paul Browne vom Buick-Studio. Erst ihr sechster Entwurf fand Earls Gnade. Browne steuerte die Kühlermaske bei, die Buick bis 1949 beeinflusste. Seine Inspiration war die Maske des Mercedes-Silberpfeils W 154.

(Wkipedia)

Für unsere mit den Formen der frühen 1950er-Jahre vertrauten Augen ist es nicht leicht, nachzuvollziehen, wie revolutionär der Y-Job wirkte bei seiner Vorstellung.

* Da ist eimal die Front ohne „Catwalk“. Die übliche Vertiefung zwischen Haube und Koflügel entfällt ganz.
* Die Haube öffnet im "Alligator"-Stil. Kein Novum aber sehr modern. Abgesehen davon, ist sie bis zur Windschutzscheibe gezogen; das Torpedoblech ist darunter verborgen.
* Die Haubenentriegelung erfolgt vom Armaturenbrett aus.
* Seitlich
herumgezogene Stossstangen
* Die Kotflügel laufen in die Türen hinein.
* Türknöpfe statt -griffe (hatte aber bereits der Lincoln Zephyr)
* Reihen von Chromstreifen auf den Kotflügeln
* Schlusslichter im Kotflügel integriert





(conceptcarz)

* Versenkbare Scheinwerfer hatte Earl wahrscheinlich bei Buehrig gesehen, der sie 1933 erstmals in einem Design vorschlug und später im Cord 810 verwirklichte. Der Y-Job hatte ein ein unglaublich komplexes System: S
eine Scheinwerfer sitzen hinter waagrecht geteilten, kreisrunden Abdeckungen. Auf Knopfdruck vor dem Einschalten des Lichts elektrisch nach oben und unten öffneten. Gleichzeitig fuhren die Lampen in ihrer Chromfassung nach vorn und bildeten einen sauberen Abschluss mit der Karosserie.
* Das Verdeck verschwindet in einem Abteil hinter den Sitzen, dieser hat eine Metallabdeckung. Etwas ähnliches hatte Murphy um 1930 bei seinem Roadster für Duesenberg verwendet.
* Die
Sonnenblende ist am vordersten Verdeckspriegel angebracht, nicht am Scheibenrahmen. Für diese eigenwillige Lösung wollen mir nur optische Gründe einfallen; durchgesetzt hat sie sich jedenfalls nicht.
* Das Armaturenbrett wird in die Türen herumgezogen.
* Elektrische Fensterheber

Fast schon „Standard“ war der Wegfall von Trittbrettern und das in einem Fach unter dem Kofferraum versorgte
Reserverad.



Eine der wenigen Aufnahmen mit "ausgefahrenen" Lampen. (Ar-chief)


Fast alle Designmerkmale des Y-Job erschienen in den kommenden Jahren auf einem GM-Modell. Ausnahme: Das Spitzheck. Nur wenig wurde im Lauf der Zeit verändert. So waren die Hinterradv
erschalungen nicht immer angebracht - wohl aus Frust seitens Earl, der auf einer ausgedehnten Tour irgendwo in Arizona eine Reifenpanne hatte und nach Flint telegrafieren musste um sich instruieren zu lassen, wie die Abdeckungen entfernt werden konnten.
Der einzige grössere Eingriff brachte eine 2-Gang Dynaflow anstelle des manuellen Dreiganggetriebes. Derzeit sind keine Elektromotoren für die Scheinwerfer eingebaut.




Inspiriert von einer ähnlichen Figur, die LeBaron für eihige Packard-Speedster entworfen hatte: Der Vorläufer der „Gunsight“-Figur, ab 1946 Markenzeichen bei Buick.
(conceptcarz)


(conceptcarz)



Türknopf
(conceptcarz)



St. Christophorus ziert die Lenkradnabe
(conceptcarz)




Plakette am Armaturenbrett
(conceptcarz)

Auf die Bezeichnung „Y“ soll Earl gekommen sein, weil mit diesem Auto ein Schritt weiter gegangen werden sollte als mit einem "gewöhnlichen" Versuchsträger, für welche "X"-Nummern verwendet wurden und werden. Ausserdem wird die "Y"-Nummer in der Flugzeugindustrie verwendet,
Bleibt die Technik. Die war sehr seriennah am Super Serie 50. Einzig der Eadstand wurde etwas vergrössert:
sv Reihen-8er mit 320 ci (5247 ccm)
141 HP @ 3600 RPM
204 Ft-Lbs (277 NM) @ 2000 RPM




(Wikipedia)


(Ar-chief)

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Beitrag #17 von Eifelprinz » 03.12.2013, 08:17

:sabber_f: einfach nur wunderschön, dieses Auto. Danke, Chief :)
Egal wie traurisch Du bisch, im Kiehlschronk brennt immer e Licht fer Dich!
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Beitrag #18 von blackmagic57 » 03.12.2013, 12:32

* Die Sonnenblende ist am vordersten Verdeckspriegel angebracht, nicht am Scheibenrahmen. Für diese eigenwillige Lösung wollen mir nur optische Gründe einfallen; durchgesetzt hat sie sich jedenfalls nicht.

Bei geöffnetem Verdeck stehen die Dinger nur blöde in der Gegend rum und sehen bescheiden aus; andererseits, fahr mal ohne sie in den Sonnenuntergang...:rolleyes:
Ein wirklich tolles Auto für eine herausragende Ikone der Automobilgeschichte.
´
Wenn eine Fliege auf deinem Hoden landet wirst du lernen, Konflikte ohne Gewalt zu lösen. :fiesgrins:


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Beitrag #19 von chief tin cloud*RIP* » 04.12.2013, 11:14

Mittwoch, 4. Dezember 2013

Liebe Gemeinde,
u
nser heutiges Türchen öffnet sich wieder einmal verspätet. Es ist anscheinend ebenso wie unser Adventskalenderfred zur Tradition geworden, dass ich rechtzeitig zu dessen Eröffnung krank werde. Das kann natürlich auch mit der nicht minder traditionsreichen Grippeimpfung zusammenhängen, die just zu diesem Zeitpunkt fällig wird...
Jedenfalls gefällt mir die Vorstellung, dass Ihr Euren Adventskalenderfredautoren zusammengesunken vor dem Bildschirm seht, wie er mit letzter Kraft die Tasten drückt. Oder so...


Firmen-Logos (Wikipedia)

Der Bezug unseres heutigen Türchens zum amerikanischen Auto erschliesst sich erst auf den zweiten Blick, aber dann umso heftiger. 1920 trug der Karosseriebauer Hermann Spohn (1876-1923) seinen Betrieb in Ravensburg im Handelsregister ein. Fortan widmete er sich Sonderkarosserien für Personenwagen, insbesondere für Maybach-Fahrgestelle. Ich widerstrebe der Versuchung, die schönsten Kreationen der Hermann Spohn OHG und ihrer Nachfolger allesamt hier aufzuzeigen; sie gehören zum besten ihrer Art – weltweit – sowohl was Form und Ausführung anbelangt. Bemerkenswert sind auch seine Versuche, die Stromlinienform nach Paul Jaray in die Luxusklasse zu übertragen.

1930 Maybach Zeppelin Spohn Landaulet (Technikmuseum Sinsheim/Wikipedia)


1939 Maybach SW38 swb Spohn Sport Cabriolet #2146 (conceptcarz)

Nach dem Krieg gab es für Spohn eine harte Landung. Maybach existierte nicht mehr und der Markt für teure Autombile in Deutschland im allgemein – und besonders für Einzelanfertigungen - war eingebrochen. Spohn behalf sich mit gelegentlichen Aufträgen für Neukarossierungen, wobei amerikanische Einflüsse teilweise recht deutlich erkennbar sind.

Dieser Maybach SW38 swb ( #2131) aus dem Besitz von Karl Maybach erhielt 1957 eine neue Sedan-Karosserie von Spohn. Einflüsse von Mercedes (300) und aus den USA sind erkennbar (Werkbild)

Grosse Hoffnungen setzte man auch auf die neue Sportwagenmarke Veritas, für die „Serien“-Karosserien für die Modelle Comet und Nürburgring hergestellt werden sollten. Sie waren jedoch viel zu teuer und liessen sich nur in homöopathischen Dosen (8 Comet!) verkaufen. Zudem bemühten sich auch Baur und Drews um Veritas-Aufträge.


1953 Veritas Nürburgring Cabriolet (Wikipedia)

Eine interessante Zusammenarbeit gab es mit Brooks Stevens, Designberater für Studebaker, „Vater“ des Avanti und des Excalibur. Nach seinen Entwürfen entstanden zwei Coupé-Cabriolets „Gaylord Gladiator“ und sechs „Die Valkyrie“ Cabrios.


1955-56 Gaylord Gladiator (Ar-Chief)


1956 Die Valkyrie (conceptcarz)


Ausserdem wurde mit Kunststoffkarosserien experimentiert. Der Prototyp, für einen VW Käfer, wog nur 98 kg. Eine Serienfertigung kam nicht zustande und der Betrieb begann, für Kunden komplette Autos zusammenzustellen. Verwendet wurden Fahrgestelle und Komponenten von Autos, die von GIs zurückgelassen wurden. Jedes war ein Einzelstück. Was hier gezeigt wird, war dereinst ein 39er Ford (noch mit Querblattfeder hinten). Der V8 ist ein 53er Cadillac 331 mit 4bbl, angeschlossen an ein Ford 3-Gang Schaltgetriebe. Stellt sich nur die Frage: Wer braucht sowas? :gruebel:


1957 Spohn Cabriolet (conceptcarz)



1957 Spohn Cabriolet (conceptcarz)



1957 Spohn Cabriolet (conceptcarz)



Cadillac-Maschine mit Wartungsstau (conceptcarz)


Ford "Banjo" Lenkrad (conceptcarz)

Auch der Einstieg in alternative Produktionsbereiche wie Parabolantennen und Grosslautsprecher misslang und die Belegschaft der in Ravensburg „Spohnler“ genannten Fachleute (Schreiner, Schmiede, Stellmacher, Wagner, Spengler, Sattler und Lackierer) ging von 130 (1949) auf 55 im August 1956 zurück. Im Sommer 1957 wurde das Unternehmen ganz geschlossen. Wahrscheinlich hätten auch dezentere Entwürfe als dieser daran wenig geändert.
(conceptcarz)

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Beitrag #20 von rosch64 » 04.12.2013, 15:21

...alter Falter, wie kann man nur so daneben liegen...grässlich.
Aber: lesenswert.
Danke, Häuptling.
Wir, die guten Willens sind,
Geführt von Ahnungslosen,
Versuchen für die Undankbaren
Das Unmögliche zu vollbringen.
Wir haben soviel mit so wenig
So lange versucht, daß wir jetzt
Qualifiziert sind, fast alles
Mit Nichts zu bewerkstelligen.
[FONT=Book Antiqua]Manchmal gewinnt man und manchmal verlieren die anderen.

[/FONT]
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Beitrag #21 von chevydresden » 04.12.2013, 19:13

Erinnert ein wenig an den hier:
Grüße aus´m Osten
Dirk
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Beitrag #22 von Solo » 04.12.2013, 19:42

:muahaha::muahaha::muahaha:
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Beitrag #23 von chief tin cloud*RIP* » 04.12.2013, 20:21

Der ist guuuut :D
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Beitrag #24 von blackmagic57 » 04.12.2013, 20:41

Zum Glück hat so´n Caddi-Motor keine Gefühle.:o
´
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Beitrag #25 von chief tin cloud*RIP* » 05.12.2013, 01:23

Donnerstag, 5. Dezember 2013


Liebe Gemeinde,
heute beschäftigen wir uns mit so fundamentalen Fragen wie: Wer hat das erste offizielle Autorennen der Geschichte gewonnen und warum wurde dieser Sieg nicht anerkannt? Oder: Wer war der grösste Automobil- und Motorenhersteller der Welt um 1900? Oder: Wenn nicht de Dion besagte Hinterachse erfunden hat – wer dann? Zumindest die letzte Frage sei vorweg beantwortet: Charles-Armand Trépardoux (1853-1920). Doch dazu später mehr...
Wie in jedem Adventskalenderfred wird auch in diesem eine nicht-amerikanische Automarke oder Baureihe vorgestellt. Nachdem Ihr über Mercedes, BMW und Porsche wahrscheinlich mehr wisst als ich mir je anlesen werde und wir einen Jaguar-Spezialisten an Bord haben, musste ich mir schon etwas Ausgefalleneres suchen. Was offen gestanden nicht schwierig war: Im letzten Jahr hat mich eine Marke besonders beschäftigt:



De Dion-Bouton; sehr frühes Logo (Ar-chief)


Die Akteure:




(Ar-chief)


Albert Jules Graf de Dion,
eigentlich Jules-Félix Philippe Albert de Malfiance, Comte (ab 1901: Marquis) de Dion (1856-1946)

Die Familie führt ihren Namen auf das Lehen Seigneurie de Dion-Le-Val zurück, heute ein Ortsteil von Chaumont-Gistoux in Belgien, welches ein Vorfahre 1210 von Herzog Heinrich I. von Brabant und Niederlothringen erhalten hatte. Belgien besteht erst seit 1830; es bildete sich eine französische und eine belgische Linie.
Alberts Eltern waren der Marquis Louis Albert Guillaume de Dion de Wandonne und Laure Félicie Cossin de Chourses. In der Dritten Repuplik herrschten grosse Standesunterschiede. Der Titel eines Grafen wurde ihm in die Wiege gelegt, jenen eines Marquis erbte er 1901 von seinem Vater. Entsprechend wurde Albert erzogen: Privatlehrer und -schulen, humanistische Bildung, mit 20 Jahren Germanistik-Studium in München. Allerdings verwandte er einen beträchtlichen Teil seiner Zeit dort nicht mit der deutschen Sprache zu sondern mit der Konstruktion einer kleinen Dampfmaschine - heimlich, denn sein Vater lehnte die Beschäftigung mit mechanischen Geräten als nicht standesgemäss ab. Die Kenntnisse hatte er durch Anschauung und angelesenes Wissen erworben. Sonst war er keineswegs ein Rebell und wusste die Privilegien seiner Herkunft zu schätzen und er war bekannt dafür, dass er Meinungsverschiedenheiten mit einem Duell beizulegen suchte.
Albert de Dion wird als standesbewusst, barsch und aufbrausend beschrieben.


Politisch nationalkonservativ, kandidierte er am 5. November 1899 als Nationaliste plébiscitaire für das Parlament des Kantons Carquefou (Hauptort Nantes), in das er ohne Unterbruch bis 1934 stets wiedergewählt wurde.
22 Jahre lang, von 1902 bis 1924, gehörte er als Abgeordneter des Départements Loire-Inférieure (heute Loire-Atlantique) der französischen Nationalversammlung an. Es folgten weitere 17 Jahre als Mitglied des Senats (1924-1941). Als die Nationalversammlung dem ihm eigentlich politisch nahestehenden, rechtsnationalen Marschall Pétain nach dem Waffenstillstand 1940 nahezu absolute Vollmachten erteilte, gehörte de Dion zu dessen entschiedenen Gegnern.


(janine tissot)

Georges Thadée Bouton
(1847–1938)
Er stammte aus deutlich einfacheren Verhältnissen und wurde in eine Künstlerfamilie hineingeboren. Georges Eltern waren Georges Charles Bouton und Marie Anne Joséphine Vattebault. Das Paar hatte drei Kinder: Ernestine Marie (1846-1878), Georges Thadée und Eugénie Ernestine (1854-?); wie schon sein Grossvater arbeitete auch sein Vater mit dem Fotopionier Daguerre partnerschaftlich zusammen und betätigte sich als Kunstmaler.
Georges trat sehr jung eine Lehre beim Schmied, Schlosser und Bootsmechaniker Alexandre Dubourg an. In dessen Werkstatt war 1832 der erste Schiffpropeller nach einer Erfindung von Frédéric Sauvage (1785–1857) hergestellt worden.

Georges blieb mehrere Jahre bei Dubourg und ging danach zur Schiffswerft Forges et Chantiers de la Méditerranée in Le Havre. Es folgten Militärdienst und danach eine Anstellung als Mechaniker und Kesselbauer bei Hermann La Chapelle in Paris-Saint Denis. Seine jüngere Schwester Eugènie Ernestine folgte bald nach um in Paris ihre Lehrerausbildung zu beenden und eine Stelle zu suchen.

Mitte der 1870er Jahre wohnte Bouton im Pariser XVIII. Arrondissement. Hier lernte er den Eisenbahningenieur Charles-Armand Trépardoux kennen. Gemeinsam gründeten sie 1879 an der Passage Léon, nahe der Rue de La Chapelle im gleichenArrondissement eine mechanische Werkstätte welche sich auf physikalische Apparate und hochpräzise Geräte spezialisierte.



(patrimoine.gadz.org)

[B]Charles-Armand Trépardoux (1853-1920)[/B]
Von ihm wissen wir am wenigsten. Er wurde an der Rue Ferou im VI. Arrondissement in Paris geboren. Sein Vater ermutigte ihn zu einer technischen Laufbahn; so besuchte er von 1868 bis 1871 die École impériale des Arts et Métiers in Angers, welche er mit einem Ingenieursdiplom abschloss. Seinen Militärdienst leistete er während des Deutsch-Französischen Krieges in einem Pionierregiment. 1873 wurde er ehrenvoll entlassen. Danach arbeitete er als technischer Zeichner in Paris. 1877 heiratet er Marie Joly, seine Gattin verstarb jedoch wenige Monate später. In zweiter Ehe heiratete er 1879 Boutons jüngere Schwester, die
Grundschullehrerin Eugénie-Ernestine; sie verstarb 1890 im Kindbett.


Die Anfänge


Bei den Vorbereitungen zu einem Ball, den der Graf geben wollte, besuchte er gemeinsam mit einem Freund, dem Herzog de Morny, kurz vor Weihnachten 1881 das Ladengeschäft Giroux am Boulevard des Italiens. Hier wurde gerade eine von Bouton besonders sorgfältig gebaute Miniatur-Dampfmaschine ausgestellt. Diese weckte de Dions Interesse und veranlasste ihn, sich die Adresse des Ateliers geben zu lassen und Bouton aufzusuchen.



Graf de Dion auf einem frühen Dampfwagen (Wikipedia)

Mit de Dions Kapital wurde 1882 das Unternehmen Trépardoux et Cie, ingénieurs-constructeurs an der Rue Pergolèse 22 (XVII Arrondissement, an der Porte Maillot) eingerichtet, sodass Trépardoux und Bouton die Arbeit abschließen konnten. Der Name wurde gewählt, weil einzig Trépardoux ein abgeschlossenes Ingenieursstudium vorweisen konnte und um de Dion aus der öffentlichen (und der väterlichen) Wahrnehmung herauszuhalten.
Das erste Projekt war die Fertigstellung des kompakten und schnell aufheizbaren Dampfkessels. De Dion war ein harter Geschäftsmann. Als Investor diktierte er einen Gesellschaftervertrag, der ihm 80 % der Einkünfte sicherte, Trépardoux und Bouton aber zu ausschliesslicher Tätigkeit für die Firma verpflichtete. Zu seinen Verdiensten gehört es, dass er die grossen Fähigkeiten und das Talent von Bouton und Trépardoux' erkannte.



Trépardoux & Cie. stellte 1883 ihren ersten Prototyp vor, ausgeführt als Dampf-Quadriycle und auch so genannt. Grosse Teile des Fahrzeugs, darunter Rahmen und Räder, wurden von den Brüdern Renaud beigesteuert welche im gleichen Quartier eine der führenden Manufakturen zur Herstellung von Fahrrädern betrieben. Die Renards gelten als Erfinder des Drahtspeichenrades mit gekreuzten Speichen.
Die Zweikolben-Maschine war vom patentierten, leichten Typ und so ausgelegt, dass jeder der beiden Kolben die Kraft über eine Kette auf eines der Vorderräder übertrug. Gelenkt wurde mit den hinteren, enger nebeneinander stehenden Rädern. Das Fahrzeug galt als "leicht" und konnte von einer Person bedient werden; andere Konstruktionen wie jene von Amédée Bollée, waren schwerer, teurer und benötigten oft zusätzlich einen Heizer.
Im gleichen Jahr 1883 erhielt das Unternehmen ein Patent auf den leichten Heizkessel und begann mit dessen Vermarktung. Er leistete anfangs 4 bhp und wurde später in verschiedenen Grössen hergestellt. Hauptsächlich wurde er in Booten und Yachten auf der Seine.


Der Graf auf Landpartie: De Dion an der Zuverlässigkeitsfahrt Paris-Rouen 1894.
Die Gelassenheit ist nicht gespielt: Obwohl die Herren unterwegs ausgiebig dinierten, der Graf einmal von der Strasse abkam und in einem Acker landete und verschiedentlich halten musste, um verloren gegangene Hüte einzusammeln, war der Wagen mit 3 1/2 Minuten Vorsprung auf den Zweitplatzierten - Albert Lemaître auf einem Peugeot mit Daimler-Motor - im Ziel (Wikipedia)


Am 22. Juli 1894 fand in Frankreich der erste Wettkampf für Automobile statt. Die als Zuverlässigkeitsfahrt ausgeschriebene Veranstaltung für „pferdelose“ Wagen organisierte der Pariser Journalist Pierre Giffard; die Zeitung Le Petit Journal, die Henri Giffard gehörte, berichtete ausgiebig darüber. Es gab eine Qualifikation. Der spätere Erstplatzierte, der Grafen Albert de Dion auf Dampfwagen De Dion, Bouton & Trépardoux wurde noch vor Ort nur als Zweiter anerkannt. Von 121 angemeldeten Fahrzeugen erschienen 21 am Start.


Die Qualifikation wurde vom 19.-21. Juli durchgeführt und von der Zeitung gross herausgestellt um das Interesse an der Wettfahrt wach zu halten. Bereits tags zuvor konnten 26 Fahrzeuge im Bois de Boulogne besichtigt werden. Zu absolvieren war eine Strecke von 50 km in einer Zeit unter 4 (nach manchen Quellen: 3) Stunden. Der Start lag an der Porte Maillot in Paris. Die Route führte durch Paris und den Bois de Boulogne über Ortschaften in der Umgebung, darunter Mantes-la-Jolie, Saint-Germain-en-Laye, Flins-sur-Seine, Poissy, Triel-sur-Seine, Rambouillet, Versailles, Dampierre-en-Yvelines, Corbeil-Essonnes, Palaiseau, Précy-sur-Oise, Gennevilliers und L'Isle-Adam.


De Dion benötigte für die 127 km lange Strecke knapp sieben Stunden, was einem Schnitt von rund 19 km/h entspricht. Dabei ging er das Rennen eher gelassen an: Im Personenanhänger führte er einige Freunde und seinen Vater, den Marquis de Dion mit. Die Gruppe hielt die längsten Mittagspausen ein und das Fahrzeug kam auch einmal von der Strasse ab.


Die Zuschauer hingegen feierten den Schnellsten als Sieger. Letztendlich führte dieses Rennen zur Gründung des Automobile Club de France (ACF) und zur Organisation des ersten „richtigen“ Rennens im Jahr 1895. De Dions Disqualifikation war auch vorläufiger Höhepunkt einer langen (politischen) Feindschaft mit Henri Gifford, die damit endete, dass de Dion mit L'Auto-Vélo ein Konkurrenzblatt zu Giffords Sportzeitung Le Vélo gründete, das als L’Équipe bis heute existiert.


La Marquise



(Ar-chief)


La Marquise ist der zweite Prototyp, Baujahr 1884. Er hatte vier Räder und vier Sitze. Er ist der älteste Rennwagen der Welt, das zweite Fahrzeug dieses Herstellers, das älteste noch erhaltene der Marke und möglicherweise das älteste erhaltene Familienauto der Welt.

La Marquise hatte einen stehenden Heizkessel eigener, leichter und kompakter Konstruktion vorne. Zwei von einander unabhängig arbeitende Dampfmaschinen zu je 2 PS Leistung wirkten über je eine Kette auf je ein Vorderrad. Gelenkt wurde mit den hinteren Rädern. La Marquise ist also, wie alle frühen Dampfwagen des Herstellers, ein Fronttriebler. Die hintere Spur war deutlich schmaler als die vordere. Der Wasservorrat wurde in einem rechteckigen Tank im Heck mitgeführt. Vor der Fahrt muss der Kessel ca. 45 Minuten geheizt werden.


Das Fahrgestell aus Stahlrohr samt Drahtspeichenrädern baute die renommierte Fahrradfabrik Renard Frères, die ihr Domizil in der Nähe hatte. Stahlrohr-Chassis verwendete der Hersteller bis weit in die 1910er Jahre; so sind die späteren Dreiräder, Quadricycles und die Voiturettes Vis-à-vis und Populaire nach dem gleichen Prinzip aufgebaut. Gefedert wurde das Fahrzeug mit je zwei Halbelliptik-Blattfederpaketen pro Achse.
La Marquise erhielt die Fahrgestellnummer 6, die Motornummern sind D6 und G6. Sie soll noch in den 1990er Jahren eine Höchstgeschwindigkeit von 55 km/h erreicht haben obwohl damit Bremsen und Fahrwek mit Sicherheit überfordert waren.








(conceptcarz und Ar-chief)
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Beitrag #26 von stero111 » 05.12.2013, 08:56

Vielen Dank für diesen interessanten Artikel. Immer weider interessant zu lesen wo die Pioniere des Automobilbaus geografisch, sozial und gesellschaftlich herkamen...und das Menschen mit so grundverschiedener Herkunft eine gemeinsame Basis finden konnten.
Es scheint, De Dion hat auch gleich noch den Pick-up und den 5th-wheeler erfunden!
chief tin cloud schrieb:


Egal wie tief man die Messlatte für den menschlichen Verstand ansetzt, jeden Tag kommt jemand und marschiert aufrecht drunter durch!
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Beitrag #27 von Rubberhunter » 05.12.2013, 09:24

Hallo Chief, also irgendwie komm ich nicht ganz mit, oder hab ich was überlesen.

Der spätere Erstplatzierte, der Grafen Albert de Dion ...wurde noch vor Ort nur als Zweiter anerkannt.
OK aber hast du auch geschrieben warum nun??

Zu absolvieren war eine Strecke von 50 km in einer Zeit unter 4 (nach manchen Quellen: 3) Stunden.
warum hier 50 km und dann 127??

De Dion benötigte für die 127 km lange Strecke knapp sieben Stunden, was einem Schnitt von rund 19 km/h entspricht.
Gruss Sebastian



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Beitrag #28 von chief tin cloud*RIP* » 05.12.2013, 09:38

OK. War auch schon spät, gestern...
Rubberhunter schrieb:
Der spätere Erstplatzierte, der Grafen Albert de Dion ...wurde noch vor Ort nur als Zweiter anerkannt.
OK aber hast du auch geschrieben warum nun??


Der Veranstalter hat nachträglich die Regeln verschärft. Bei der Zuverlässigkeitsfahrt ging es nicht nur um Geschwindigkeit, das Reglement schrieb auch ein einfach zu bedienendes Fahrzeug vor. Bei der nachträglichen Auslegung hätte de Dion gar nicht starten dürfen (wobei auch ein Benziner damals nicht wirklich einfach zu fahren war). Er wurde zwar nicht disqualifiziert, aber um einen Rang zurückgesetzt.
Ich werde das noch einarbeiten; es fehlt wirklich an Klarheit.



Rubberhunter schrieb: Zu absolvieren war eine Strecke von 50 km in einer Zeit unter 4 (nach manchen Quellen: 3) Stunden.
warum hier 50 km und dann 127??

De Dion benötigte für die 127 km lange Strecke knapp sieben Stunden, was einem Schnitt von rund 19 km/h entspricht.


Das habe ich sehr unklar formuliert. 50 km in 3 oder 4 Stunden war die Quali, das Rennen ging über 127 km.
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Beitrag #29 von Rubberhunter » 05.12.2013, 09:41

Haha bestens, Danke Chief. Wieder mal ein tolles Kalendertürchen.
Danke für die Mühe :)
Gruss Sebastian



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Beitrag #30 von Franconian » 05.12.2013, 19:32

Absolute Klasse, macht Spaß das zu lesen!
Danke, Chief!


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