Liebe Gemeinde,
heute befassen wir uns mit der weiteren Entwicklung bei De Dion-Bouton. Der grosse Krach zwischen dem Grafen und Trépardoux war eine Auseinandersetzung mit Ansage.
Mit dem Verbrennungsmotor kam de Dion erstmals an der Pariser Weltausstellung 1889 in Berührung. Zwar gab es längst auch französische Entwicklungen wie Étienne Lenoirs 1858 patentierten Gasmotor; nachdem er eine Art Vergaser entwickelt hatte mit dem der Motor nicht mehr auf die Speisung durch das komunale Leuchtgasnetz angewiesen war, liess sich die 1 1/2 PS Maschine auch in Boote und eine Kutsche einbauen. Mit letzterer, dem "Hippomobile", unternahm er 1863 eine 18 km lange Fahrt - 23 Jahre vor der Fahrt der Bertha Benz!
Dennoch waren es deutsche Motoren, welche die französische Autoindustrie antrieb. Zunächst. Der innovativste Automobilhersteller des Landes zu dieser Zeit, Panhard & Levassor, hatte sich bereits um eine Lizenz zur Produktion des Daimler "Phoenix" Zweizylinders bemüht (Levassor und Daimler waren befreundet). Dieser Motor wurde fortan im Panhard, im Renault, im Peugeot (nach einem kurzen Versuch mit Serpollet-Dampfwagen) und im Delahaye verwendet. Überzeugt von der Zukunft des neuen Antriebs, beschloss der Graf, gegen den Widerstand von Trépardoux, einen eigenen Motor zu entwickeln.Trépardoux versuchte seinen Schwager Bouton davon zu überzeugen, dass die Umstellung auf Verbrennungsmotoren "kindisch" wäre und dass sie beide den Grafen umstimmen müssten.
De Dion merkte das, doch noch kam es nicht zum Bruch, er schätzte Trépardoux' Fähigkeiten als Techniker. Stattdessen stellte er noch 1889 einen Ingenieur namens Delalande ein und wies ihm Räumlichkeiten in seiner privaten Werkstatt an der Rue St. Maur zu. Es scheint, dass der Graf die Konstruktionen skizzierte die Delalande entwerfen sollte. Diese waren sehr fortschrittlich. Es handelte sich um zwei Umlaufmotoren mit vier resp. 12 Zylindern welche Elemente der erst 15 Jahre später vorgestellten Gnome-Flugzeugmotoren vorwegnahmen.
Eine andere Konstruktion sollte die Dampfmaschine der Dampf-Tricycles ablösen ohne deren Aufbau verändern zu müssen. Es handelte sich um einen Zweizylinder-Zweitakter zu dessen Bau Elemente der Dampfmaschine herangezogen wurden.
Der Einzylinder
An der Entwicklung des neuen Einzylindermotors arbeitete aber auch Bouton, dem der Durchbruch nach 6 Jahren gelang. Sein Prototyp war ein einfacher, leichter Viertakter mit Luftkühlung. Er hatte zwei Schwungradscheiben mit dazwischen liegenden Hubzapfen. Das Gehäuse bestand aus Aluminium, die erste Anwendung von Leichtmetall überhaupt in einem Verbrennungsmotor um Gewicht zu sparen. Bouton verwendete für das kleine Triebwerk ein automatisches Einlass- und ein gesteuertes Auslassventil. Es entwickelte ½ PS aus 138 ccm (Bohrung x Hub: 50 x 70 mm) und drehte bis 1500 U/Min. - das dreifache des Motors von Carl Benz und galt damit als "schnelllaufend". Diese hohen Drehzahlen ermöglichte die patentierte Zündung.
De Dion-Bouton Einzylindermotor (automag.be)
In ähnlicher Form erschien er 1893 auf dem Markt. Es sollte, mit seinen Weiterentwicklungen, der meistgebaute Motor seiner Zeit werden. Das erste Fahrzeug mit diesem Motor war das De Dion-Bouton Tricycle.
Die nächste Serienversion hatte einen Hubraum von 185 ccm, wiederum je ein automatisches Einlass- und gesteuertes Auslassventil und leistete in dieser Form 1¾ PS. Sie vertrug Drehzahlen bis 2000 U/Min.
In dieser Form wurde das kleine Triebwerk auch als Stationärmotor verkauft, ausserdem vergab der Graf Nachbaulizenzen in der ganzen Welt. Schliesslich verwendeten über 140 Automobilhersteller in aller Welt dieses Triebwerk oder eine lizenzierte Ableitung davon. Es war einer der Gründe für die frühen Erfolge des Automobils in Europa und den USA. Ein Patent darauf wurde 1890 erteilt, bereits 1895 verwendete De Dion-Bouton den Dampfantrieb nur noch für schwere Nutzfahrzeuge. Das typische Geräusch des De Dion-Bouton Einzylindermotors führte in Frankreich zum liebevollen Übernamen "Teuf-Teuf" für Automobile aus der Pionierzeit.
Wichtiges Arbeitsfrühstück anno 1895: Die drei Herrem am Tisch sind (vlnr) Baron van Zuylen, Graf de Dion und einer der ersten Autojournalisten, M. Méan. Sie sind gerade dabei, die Gründung des Automobile Club de France zu besprechen (automag.be)
Neben allen anderen Verpflichtungen fand Albert de Dion die Zeit, den Automobile Club de France als Fachorganisation zu gründen. Viele Jahre lang war er ein höchst exklusiver Zirkel und massgeblich an den grossen Motorsportereignissen beteiligt.
Georges Bouton auf dem Tricycle-Prototypen (1895) (Ar-chief)
Tricycle
Ein eigenes Fahrzeug für den Motor war auch angedacht. 1895 lief ein Prototyp des Motordreirads "Tricycle", das aber erst 1897 in Serie ging. Es wog ca. 80 kg; davon 20 der Motor, der nun 211 ccm Hubraum hatte und 1½ PS bei 1800 U/min. leistete. Der Antrieb erfolgte über ein Zahnradpaar vom Motor direkt auf die Hinterachse. Ein Differential glich die unterschiedlichen Kurvenradien aus.
De Dion-Bouton Tricycle (1899) (Wikipedia)
Fast zehn Jahre blieb das Motordreirad im Produktionsprogramm, beständig wurden der Hubraum und die Leistung erhöht. Die Ausführung von Anfang 1899 leistete bereits 2¾ PS, hatte einen abnehmbaren, wassergekühlten Zylinderkopf und einen luftgekühlten Motorblock.
Peugeot-Tricycle mit De Dion-Bouton Motor und Michelin-Reifen (ca. 1900)[I] (Wikipedia)
[/I]Es folgten auch Varianten mit einem Sitzbank für einen Passagier zwischen den gelenkten Vorderrädern; der Fahrer sass dahinter auf seinem Sattel und lenkte mit verlängertem Hebel. Hier war der Motor längs mittig im Rahmen angebracht. Davon wiederum wurde eine vierrädrige Version "Quadro" abgeleitet.
De Dion-Bouton Tricycles in Aktion: Bardin während einem rennen und eines von 1899 am London Brighton Run (Wikipedia)
Das ursprüngliche Modell war zeitweilig das schnellste motorisierte Vehikel und wurde gerne an Rennen eingesetzt. Bouton experimentierte zu diesem Zweck an einer zweimotorigen Variante.
Das tat Ende 1898 im fernen Mailand auch ein 16-jähriger Mechanikerlehrling mit einem Lizenzprodukt, das auf dem Konkurrenzprodukt von Rochet-Schneider basierte. Er gewann damit auch Rennen - weniger, als er später gerne behauptete, aber wer will das einem ganz Grossen wie Ettore Bugatti schon übel nehmen?
Am 13. April 1902 stellte der französische Rennfahrer Georges Osmont in Nizza mit einem De-Dion-Bouton-Motordreirad einen Geschwindigkeitsrekord von 109,1 km/h auf.
De Dion-Bouton Tricycle mit "Victoria" Anhänger für einen Passagier (ca. 1900) (Autoworld Mahy)
Das letzte Modell des Tricycle von 1904 hatte einen auf 955 ccm Hubraum (Bohrung 100 mm, Hub 120 mm) vergrösserten Motor und leistete 8 PS bei immer noch 1800 U/min.
De Dion-Bouton Quadro mit 251 ccm und 1¾ PS. (1899) (RitzSite)
Es folgte eine Variante mit 3½ PS, dem Triebwerk der ersten De Dion-Bouton Voiturette "Vis-à-vis"
Einzylinder in verschiedenen Grössen entstanden bei De Dion-Bouton noch bis 1912 oder 1913; zu dieser Zeit stellte das Werk längst auch Zwei-, Vier- und sogar V8-Motoren her.
Der Erfolg war so überwältigend, dass er De Dion-Bouten um die Jahrhundertwende zum grössten Motoren- und Automobilbauer der Welt machte:
Um 1900 wurden 4000 Fahrzeuge und 80.000 Einzylindermotoren hergestellt
1904 war De Dion-Bouton mit einer Jahresproduktion von 60.000 Motoren der größte Motorenhersteller der Welt. Weniger als 10.000 gelangten in eigene Fahrzeuge; der Rest ging an andere Hersteller oder Einzelabnehmer.
Restaurierter De Dion-Bouton Quadro (1899) (Ar-chief)