Sonntag, 2. Dezember 2018 1. Advent Liebe Gemeinde, im vergangenen Jahr hat sich Euer Adventskalenderfredredaktor mit dem Werk der Duesenberg-Brüder beschäftigt und Dinge erfahren, die man so in der gängigen Literatur nicht lesen kann. Sein Fazit: Was in Auto-Illustrierten, im Bunt-TV oder in den „Qualitätsmedien“ herumgeboten wird, ist sehr oft für die Tonne...
Es ist naheliegend, dass das auch eine oder andere Adventskalenderfredtürchen einen Bezug zu Duesenberg hat – mitunter keinen offensichtlichen, aber von irgendwo müssen Eurem Adventskalenderfredredaktor ja schliesslich die Ideen zufliegen...
So auch heute. Das Auto, für das sich das heutige Türchen öffnet, war einst August Duesenbergs Privatwagen. Er besass ihn viele Jahre und er experimentierte damit. Pünktlich zum ersten Advent kommt es also doch noch, das besonders schöne, besonders kräftige und besonders innovative Auto, von dem erst gestern die Rede war.
Unser zweites Türchen öffnet sich also für den Duesenberg Model A Roadster von 1927 mit der Fahrgestellnummer D61S und Schutte-Karosserie aus dem Nachlass von August S. Duesenberg.
Das Fahrzeug weist einige Besonderheiten auf. Das fängt schon mit dem Baujahr an. Genannt wird 1927, die Fahrgestellnummern für den A enden aber mit dem Jahr 1926. D61S ist eine hohe, aber nicht die höchste bekannte Fahrgestellnummer. Sie wurde in der zweiten Jahreshälfte 1926 ausgegeben.
Ungewöhnlich ist auch, dass kein Radstand bekannt ist. Die Literatur erwähnt, dass für den Roadster ein langes Chassis verwendet wurde, das eigentlich für eine Limousine gedacht war. Demnach handelt es sich nicht um das Standard-Fahrgestell mit 134 Zoll Radstand. Nur 1925 gab es ab Werk auch eines mit 141 Zoll. War ein solches noch verfügbar und wurde für den Schutte-Roadster verwendet? Andererseits ist gerade von Schutte bekannt, dass dort auch Fahrgestelle verkürzt oder verlängert wurden.
Schutte war einer der Lieferanten für Werkskarosserien für Duesenberg. Damit sind solche Aufbauten gemeint, die aus dem Duesenberg-Katalog bestellt werden konnten, in diesem Fall Broughams und Limousinen.
Die Karosserie von August Duesenbergs Roadster war ein Einzelstück. Dass es für ihn angefertigt wurde, ist eher unwahrscheinlich. Es war bei seinem Tod 1955 immer noch in seinem Besitz, war aber jahrelang nicht bewegt worden. Mittlerweile wurde es restauriert.
Charles G. Schutte Body Company Doch wer war Schutte?
Die Charles Schutte Body Company wurde 1910 von Charles Edward Schutte in Lancaster (Pennsylvania) gegründet und stellte zunächst Aufbauten für Nutzfahrzeuge her, darunter auch für Omnibusse. Charles E. war eines von vier Kindern von Charles Calvin Schutte (1857–?) und Stella Selinda geb. Steele (1866–?) Möglicherweise war das Unternehmen eine Reorganisation des väterlichen Wagenbaubetriebs. Die ältesten bekannten PKW-Karosserien von Schutte sind ein früher Saxon-Kleinwagen (die Marke produzierte ab 1913) und ein Cadillac Thirty von 1914 mit einer Schutte-typischen, sehr kantigen Frontgestaltung. Beide Aufbauten wurden als Military Sport Roadster bezeichnet; dies scheint eine frühe Spezialität des Unternehmens gewesen zu sein.
1918 entstand ein Roadster-Aufbau für den Prototyp des Argonne. Der Aufbau bestand aus Aluminiumblech. Eine Besonderheit waren "Motorrad-Kotflügel" vorn, die beim Lenken mit drehten. Auch einige der späteren Serienaufbauten der vielversprechenden Marke aus Jersey City (New Jersey) werden Schutte zugeschrieben.
Katalog-KarosserienEine abschließende Liste von Fahrgestellen mit Schutte-Karosserien ist schwierig zu erstellen. Eine Besonderheit des Herstellers war es, insbesondere offene Karosserien "für jedes Fahrgestell" anzubieten. 1919 waren unter anderem ein Type T-70, Turtle Deck Model oder S-50, Special Turtle Deck Model gelistet. "Turtle" (Schildkröte) bezog sich auf das gerundete Heck. Beim S-50 enthielt es das Reserverad. Wer darauf verzichtete, dieses im Heck mitzuführen (in Frage kam ja auch die seitliche Montage am Fahrzeug), der konnte stattdessen auch ein Verdeck bestellen, das in geöffnetem Zustand auf dem Heck auflag.
Das Unternehmen mag sich zunächst auf solche offene Aufbauten spezialisiert zu haben, später wurde es aber eher bekannt für seine konservativen Limousinen mit opulenten Innenausstattungen im Rokoko-Stil, samt handgearbeiteten Schnitzereien und Polsterstoffen mit Blumendekor.
Schutte-Kühlermaske und MotorhaubeWenn ein Kunde eine Sonderkarosserie bestellte, war das übliche Vorgehen, dass der Autohersteller dem Karosseriebauer ein Running Chassis lieferte. Dieses bestand, je nach Hersteller, aus dem theoretisch fahrbaren Fahrgestell mit Antrieb und Rädern, dem Kühler mit Maske, Blechpressteilen für Motorhaube und Kotflügel und Trittbrettern. Zum Lieferumfang gehörten oft auch Armaturenbrett, Scheinwerfer, Lampen und Beschläge. Bei Schutte erhielt der Kunde den gewünschten Aufbau dazu, konnte aber zusätzlich auch weitergehende Modifikationen ordern. So gab es eine hauseigene Kühlermaske nach eigenem Design und dazu die entsprechend angepasste Motorhaube. Die Schutte-Front erinnerte stark an Rolls-Royce-Fahrzeuge. Sie war natürlich auch für Katalogkarosserien erhältlich. Es scheint, dass das Unternehmen diese Umgestaltung schon sehr früh anbot.
Weiter nahm Schutte auf Wunsch auch technische Anpassungen vor. Dazu gehörten auch so massive Eingriffe wie die bereits genannte Veränderung des Radstands.
Schutte Wheel DiscsEbenfalls schon früh vertrieb Schutte auch eine eigene Linie von Radabdeckungen, die auch an vielen der selber karossierten Fahrzeuge verwendet wurden und sich auch auf Anzeigenillustrationen finden. Diese Radabdeckungen waren in den frühen 1920er Jahren recht beliebt obwohl sie mit US$ 75,- für einen Satz von 4 Stück sehr teuer waren. Üblicherweise wurden diese Scheiben vor dem Rad auf die Radnabe gesteckt. Die Befestigung erfolgte mit dem originalen Radverschluss. Sie funktionierte normalerweise mit der serienmäsigen Radbefestigung wie auch mit Zentralverschluss. Schutte verwendete in der Produktion 22-Gauge-Stahl, die großen Zierdeckel bestanden aus Aluminiumguss. Die Abdeckungen waren sowohl für Artillerie- wie Drahtspeichenräder geeignet. Zusätzliche Abdeckungen waren für US$ 15,- erhältlich; in vernickelter Ausführung kosteten sie US$ 20,- pro Stück und lackiert US$ 25,-. Zeitweise scheinen sie einen beträchtlichen Teil des Umsatzes ausgemacht zu haben.
1921 Cadillac V8 Series 61 Schutte Roadster mit den hauseigenen Radabdeckungen
Werk- und SonderkarosserienWenn ein Kunde konkretes Interesse zeigte, wurde ihm ein in Leder gebundenes Portfolio vorgelegt, das neben dem Schutte-Schriftzug auch den Namen des Kunden in goldenen Lettern trug. Es enthielt Vorschläge an Beispielen auf Fahrgestellen von Hispano-Suiza, Duesenberg, Rolls-Royce, Stevens-Duryea und Cadillac. Nicht für alle diese Marken scheinen Schutte-Karosserien ausgeführt worden zu sein.
Schutte-Werbung von 1921 mit einem imposanten Phaeton und Schutte-Radkappen
Schutte-Karosserien für DuesenbergFür den Duesenberg Model A hat Schutte Werkskarosserien beigesteuert. Das Unternehmen lieferte kleine Serien von geschlossenen Aufbauten. Vermerkt werden Sedan und Coupés.
Duesenberg Model A: Ein auf 1922 datierter, vierfenstriger Sedan oder Sport Sedan von Schutte mit verkürztem Fond, schräg gestellter Frontscheibe, gepolstertem Dach und Sturmbügeln
Duesenberg Model A: Eine undatierte, elegante Chauffeurlimousine auf langem Radstand von Schutte
Duesenberg Model A: Ein auf 1926 datiertes, vier- bis fünfsitziges Opera Coupé. Schräg gestellte Frontscheiben waren mehr als eine Modeerscheinung. Der Vorbau enthielt oft eine Belüftung, und die Scheibe reduzierte die Gefahr nächtlicher Blendung des Gegenverkehrs durch dessen eigene Scheinwerfer.
Auf einem Fahrgestell Bentley 6 ½ Litre entstand ein Saloon. Die Aufbauten für Argonne wurden bereits erwähnt. Daneben wurden auch Fahrgestelle von Franklin, Locomobile, Marmon, Oldsmobile, Packard, Peerless und Pierce-Arrow eingekleidet. Von letzterem ist ein Dual Cowl Phaeton auf einem überlangen Fahrgestell mit 156 Zoll (3962 mm) Radstand aus dem Jahr 1922 überliefert. Das Fahrzeug mit den Dimensionen eines kleineren LKW hatte Trittbretter mit Schachbrettmuster, einen Höhenmesser und einen Eiswasserspender. Der älteste bekannte Aufbau für Cadillac ist der genannte Roadster von 1914.
Schutte-Werbung von 1922 mit zwei sehr sportlichen Karosserien. Der Roadster wirkt spektakulär.
Bekannt sind ein weiterer von 1921 sowie ein sechssitziger Touring von 1925 und eine Chauffeurlimousine von 1926. Die beiden letzteren erhielten offenbar auch Schuttes Behandlung der Fahrzeugfront im Rolls-Royce-Stil sowie modische, fassförmige Springfield-Scheinwerfer.
Der Schutte SpecialCharles Schutte ließ 1921 einen Sportwagen für sich bauen, der wegen seiner puristischen Form praktisch ohne Karosserie und seiner extravagenten Details beträchtliches Aufsehen erregte. Der Sportwagen im Stil früherer Speedster hatte keine Türen, eine minimale Karosserie, einen fassförmigen Tank hinter den Sitzen und ein senkrecht angebrachtes Reserverad im Heck. Die Karosserie bestand nur aus Motorhaube, Kotflügeln, der Abdeckung der Chassis-Längsträger und einer Art Gepäckabteil im Heck. Wahrscheinlich enthielt es vollständig abnehmbares Zubehör des Fahrzeugs. Dazu gehörten das Verdeck, eine faltbare Windschutzscheibe zur Befestigung an der Lenksäule und zwei Notsitze, die neben dem Tank und quer zur Fahrtrichtung installiert werden konnten.
Besondere Designelemente waren je vier runde Lufteinlässe auf jeder Seite der Motorhaube und die Verkleidung der frei stehenden Sitzschalen mit geflochtenem Bast. Auch hier wurden die hauseigenen Radabdeckungen verwendet.
Es ist nicht bekannt, welches Fahrgestell verwendet wurde. Angetrieben wurde der Schutte Special von einem Rochester-Duesenberg Vierzylinder-Reihenmotor mit angeblich 103 bhp (76,8 kW) Leistung. Die Leistung von Rochester-Duesenberg-Motoren wird üblicherweise mit 70 bis 75 bhp für den 4,8 Liter und 81 bhp für den 6 Liter angegeben. 100 bhp ist die Leistung, die meist für Duesenberg-Rennwagen geannt wird, hingegen entsprechen 103 bhp exakt dem Wert des ReVere, der eine im eigenen Haus entwickelte Version dieses Motors verwendete.
Taxis und FlugzeugrümpfeSchutte lieferte Aufbauten für Nutzfahrzeuge, Omnibusse und regionale Taxibetreiber. Es war zu dieser Zeit nicht ungewöhnlich, dass Taxibetreiber ihre Fahrzeuge herstellen ließen; diese trugen oft als Markennamen jenen der Betreibergesellschaft, und Kooperationen zwischen Autobauern und Serienkarosserieherstellern analog der PKW-Produktion waren ebenfalls üblich.
Das Fachmagazin Aerial Age Weekly berichtete in seiner Ausgabe vom 13. Juni 1921, dass Schutte auch Flugzeugrümpfe für die Curtiss JN-4 "Jenny" und andere kleinere Flugzeuge herstellte oder modifizierte.
Fehlgeschlagene Übernahme und EndeIm Sommer 1926 bemühte sich die Schutte Body Corporation um die Übernahme der Blue Ribbon Body Corporation in Bridgeport (Connecticut). Das war ein 1907 gegründetes, sehr angesehenes Unternehmen, das Werkskarosserien für Porter und Locomobile hergestellt hatte. Blue Ribbon war auch ein bekannter Anbieter von Ambulanzen und Bestattungsfahrzeugen, die als Assembled vehicle mit Fahrgestellen verschiedener Hersteller angeboten wurden, so von Cadillac, Packard, Willys-Knight und anderen. Neben Nutzfahrzeugaufbauten entstanden auch Sonderkarosserien für Cadillac, Franklin, Hupmobile und Packard. Mit der Lieferung der Karosserien für das 1924–1925 in New York City hergestellte Traveler-Taxi der Taxicab Manufacturing Company war Blue Ribbon zudem ein Mitbewerber in diesem Markt.
Geplant war, dass eine neue Gesellschaft die Nachfolgerin sowohl von Schutte wie von Blue Ribbon werden sollte. Die freundliche Übernahme war weit gediehen, ein Kaufpreis vereinbart und mit der Schutte-Blue Ribbon Body Company auch das Nachfolgeunternehmen bereits eingerichtet als das Vorhaben juristisch gestoppt wurde. Vier kleinere Anlegen von Schutte hatten erfahren, dass die Schutte-Anlagen in Lancaster stillgelegt und die Produktion in Bridgeport konzentriert werden sollte. Darin sahen sie eine Gefährdung ihrer Investitionen im Umfang von US$ 200.000,-. Über ihren Anwalt schalteten sie das Pennsylvania Department of Banking ein. Die Konsequenzen waren schwerwiegend. Weil der Staat Pennsylvania der Schutte Body Corporation bereits im Vorjahr aufgrund von Unregelmäßigkeiten die Erlaubnis entzogen hatte, Aktien auszugeben, sah man durch die Übernahme und Reorganisation einen Verstoß gegen das Aktienrech des Bundesstaats als gegeben. Dies führte zur Verhaftung von Charles E. Schutte und dem Finanzvorstand, George Fritsch und zu einer Anklage wegen Aktienbetrug. Ob es zu einer Verurteilung kam, ist unklar. Die Presseberichterstattung führte aber dazu, dass nicht nur die Übernahme scheiterte; innert weniger Monate musste die Schutte Body Corporation schließen. Charles Schutte übte danach weitere Tätigkeiten in der Automobilindustrie aus und hielt mehrere Patente in seinem Fachbereich.
Die Anlagen in Bridgeport wurden von Blue Ribbon genutzt, waren aber zu groß. 1927 war mit der Holbrook-Brewster Corporation ein Sonderkarosseriebauer eingemietet. Diese Kooperation von H. F. Holbrook (von der Holbrook Company) und Henry Brewster (von Brewster & Co.) scheiterte bereits ein Jahr später nach nur acht bis zehn hergestellten Aufbauten, darunter mindestens ein Bugatti respektve Mercedes-Benz.
Blue Ribbon baute bis 1930 einige Kranken- und Bestattungswagen und wurde danach verkauft. Das Unternehmen bestand bis Ende der 1940er Jahre als Werkstätte Blue Ribbon Garage.
Bilder: Coachbuilt, Conzeptcarz, Ultimatecarpage, Ar-Chief