Der Woody - eine amerikanische Ikone

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chief tin cloud*RIP*
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Der Woody - eine amerikanische Ikone

Beitrag #1 von chief tin cloud*RIP* » 12.08.2009, 22:01

"Station Wagon" bezeichnete ursprünglich eine Kutsche mit der im Wilden Westen Personen und Waren von der Bahn-Station abgeholt wurden. Je nach Zweck konnten zusätzliche Sitzbänke montiert werden oder es gab halt mehr Laderaum. Ist wie mit unseren heutigen Pampersbombern... Die andere Bezeichnung ist im Laufe der Jahre mehr oder weniger abhanden gekommen: "Depot Hack" - wobei sich Depot auf den Güterschuppen am Bahnhof bezog. Käufer waren v.a. Farmer, Rancher, Ladenbesitzer und die Eisenbahnen.





1926 Ford Model T Station Wagon by York: Noch sehr nah an den ersten Depot Hacks vor dem 1. Weltkrieg… 1



Frühe motorisierte Station Wagon hatten eine Aussenhülle aus Holz, zusammengehalten von einem Rahmen. Dazu kam ein festes Dach und eine Heckklappe (später meist eine Tür). Seiten- oder Heckscheiben ab es erst ab Anfang 30er-Jahre, davor boten Planen, die seitlch am Dach aufgeollt waren, einen mimimalen Wetterschutz. Das waren echte MPVS - Multi Purpose Vehicles, die oft auf ein Truck-Fahrgestell gesetzt wurden. Ford zB hat auch seine aus PW abgeleiteten Station Wagon bis mindestens 1934 im Nutzfahrzeugkatalog aufgeführt.




1940 Pontiac Series HA Special Six Model 25 Station Wagon. Den Kontrakt für Pontiac-Wagons aus dem Werkskatalog hatte seit 1937 Cantrell in Huntington; es ist anzunehmen, dass auch das ein solcher Aufbau ist. 1


Edelkombis kamen etwa zur gleichen Zeit auf. Grosse Hersteller wie eben Cantrell (1915-58) kamen auf die Idee, besonders luxuriöse Varianten zu bauen mit edleren Hölzern und Ausstattungen - und mit Kurbelfenstern. Verwendet wurden praktisch alle PW-Fahrgestelle (ein Duesenberg ist mir allerdings noch nicht untergekommen, wohl aber ein Pierce-Arrow Cantrell Station) Zur Kundschaft gehörten Landhotels und reiche Leute, die sich einen abgelegenen Zweitwohnsitz leisteten. Sie reisten idR komfortabel mit der Bahn an und wollten vor Ort ein passendes Auto zur Verfügung haben. So kamen die gehobenen Buick Station Wagon zur Bezeichnung „Estate“ – die im übrigen in GB heute noch Sammelbegriff für Kombis ist.




1949 Packard Eight Station Sedan: Die Leisten sind aus Holz und strukturell tragend, die Paneele aus Blech mit Folie. 1


Holz wurde verwendet weil das schon immer so war. Ausserdem rechtfertigten die geringen Stückzahlen kein eigenes Tooling (auch ein gewöhnliches "Arbeitspferd" kostete ein Schweinegeld während zB Pickups relativ billig waren). Ausserdem gelang es erst ab Mitte der Dreissigerjahre, eine Pressform für das Dach eines Sedan zu konstruieren (zB Pionier GM ab 1934). Station-Dächer sind noch länger...
Doch das echte Holz hatte erhebliche Nachteile. Zwar waren seriös konstruierte "Woodies" überaus langlebig doch erforderten sie viel Pflege. Im Herbst wurde idR das ganze Holz geschliffen und neu mit Firnis bestrichen.
Der erste Ganzmetall-Station Wagon erschien 1949 von Plymouth: Der zweitürige P-17 Suburban mit horizontal geteilter Heckklappe. Allerdings vertraute man der Idee nicht vollständig und bot in der Special de Luxe (P-18-) Baureihe einen konventionellen "Woodie"-Viertürer an.





Dieser 54er Plymouth Savoy Series P-25-2 Station Wagon hat noch die Grundstruktur des ersten Ganzstahl-Suburban. 1


Die Sorge war unbegründet. Die Autos liessen sich jetzt weitaus rationeller und damit preiswerter produzieren. Das wiederum machte sie für einen wachsenden Kundenkreis interessant: Mittelständler aus den Vororten. Eine amerikanische Liebesgeschichte begann, die jahrzehntelang andauern sollte. Das Holz aber hatten sich Generationen von Amerikanern als Bestandteil eines Station Wagon eingeprägt. So kam es als Folie auf das Blechkleid und blieb dort – und eroberte sogar die Topausführungen von MPVs.




1958 Rambler Ambassador Cross Country Station Wagon. Besonderheit: keine B-Säule, also eigentlich ein 4door Hardtop Wagon. 1





1967 Ford Country Squire: Full Size Station Wagon 1




1974 Chevrolet Vega Estate Wagon 1


Aber nicht alle “Woodies” waren Station Wagon. 1941 Jahre stellte Chrysler den Prototyp eines ausserordentlich luxuriösen hölzernen Wagon mit Metalldach vor und nannte ihn Town & Country. Das Modell ging 1942 als 6- oder 9-Plätzer in Serie und wurd 1099 x gebaut (150 6-Plätzer). 1946 griff man die Idee wieder auf und legte dazu ein und einen Sedan auf. Diesmal gab es eine eigene Modellreihe mit Sedan und Convertible, alle mit dem 6-Zylinder des Windsor oder dem New Yorker Straight 8.. Dazu kamen 8 Brougham genannte Hardtops als Prototypen (einer war ein 6-Zylinder).

Bereits 1947 gab es nur noch den Sedan mit 6 und das Convertible mit 8 Zylindern. der Sedan lief 1948 aus, das Convertible Mitte 1949. Den Nachfolger gab es mit modernisierter Karosserie nur noch als Cabrio, das 1950 durch ein „Newport“ genanntes Hardtop abgelöst wurde.

Alle geschlossenen Versionen hatten Blechdächer aber nur die erste Ausführung von 1946 bis Mitte 1949 („First Series“) verwendete Echtholz für Paneele und Leisten (welche tragende Funktion hatten). Die 49er „Second Series“ und 50er Modelle hatten nicht tragende Holzleisten und Folien über Blech. Die Bezeichnung Town & Country blieb jahrzehntelang erhalten für die luxuriösesten Wagon (vergleichbar New Yorker) und zuletzt für den Minivan, den wir in Europa als Voyager kennen.




1950 Chrysler Windsor Newport Town & Country 1

Weniger bekannt ist, dass es noch andere Modelle mit Holzstruktur gab: Nash hatte auf dem 46er Ambassador einen Woody-Sedan (Modell 4664) – nicht einfach herzustellen denn man verwendete bereits eine Käfigbauweise, bei der Chassis und Karosseriestruktur eine Einheit bildeten.




1948 Ford V8 Sportsman Convertible 2


Neben den traditionellen Woodies boten Ford und Mercury je ein „Sportsman“ genanntes Convertible an mit Holzplanken an der Seite und am Heck. Dies war auch eine preiswerte Lösung, der Materialknappheit unmittelbar nach dem Krieg entgegenzuwirken: Holz wuchs in den riesigen Ford-eigenen Wäldern zur Genüge. Als Basis dienten gewöhnliche Convertibles. „Sportsman“ erhielten serienmässig Lederausstattung, hydraulische Fensterheber und zwei Schminkspiegel. Produziert wurden

1946: 1208 Exemplare; 1982 $
1947: 2250 Exemplare; 2282 $
1948: 28 Exemplare (umnummerierte 47er) ; 2282 $

Ein 46er Ford Super Deluxe Convertible kostete 1488 $.

Ein normales Mercury Convertible hatte einen Basispreis von 1604 $, der „Sportsman“ kostete 2078 $. Nur total 205 Mercury Sportsman wurden gebaut.

Holzimitation ab Werk (es gab immer wieder mal reiche Rancher oder Hollywood-Leute, die sich so was als Einzelstück anfertigen liessen) gab es bei Mercury kurz noch einmal Ende der 60er und dann noch um 1982 als unsäglichen Chrysler T&C.

In Europa entstanden ebenfalls Woodies. Ich habe Fotos mit solchen Aufbauten auf Fahrgestellen von RR, Bentley, Hispano-Suiza und anderen gesehen. Bekannt waren auch Fiat Topolino Giardinetta und Mini Clubman Estate.

Ein Kapitel für sich sind „Skiff“, ein Karosserietyp, der vor 1930 praktisch ausgestorben war. Hier wurden zumeist offene Karosserien mit Spitzheckkomplett aus Holz in Bootsbauweise hergestellt, auf exklusive Chassis gesetzt. Darüber mehr wenn ich genügend Bilder hab…



1 Wikipedia
2 Copyright Consumer Guide, the Auto Editors. "1941-1948 Ford Super DeLuxe." 23 October 2007. HowStuffWorks.com. http://auto.howstuffworks.com/1941-1948-ford-super-deluxe.htm> 12 August 2009.
Bild


ASK THE MAN WHO OWNS ONE

Es ist kompliziert.
T-ROCK

Beitrag #2 von T-ROCK » 13.08.2009, 00:46

Das riecht so nach Adventskalender :zwinker:

Dankeschön! :)
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Sebb
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Beitrag #3 von Sebb » 13.08.2009, 06:03

:chips::kaffee: DAS nenn ich doch mal informative Morgenlektüre, danke Micha. ;)
Gruss
Sebb
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Franconian
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Beitrag #4 von Franconian » 13.08.2009, 06:39

Seeehr interessant, Dankeschön!!!

PIG Rider

Beitrag #5 von PIG Rider » 13.08.2009, 08:04

Wiedermal ein lesenswerter Beitrag! Danke !!
CheV8y

Beitrag #6 von CheV8y » 13.08.2009, 08:13

Wow Michael :daumen:- Danke für den tollen und informativen Beitrag :)
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o.dima
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Beitrag #7 von o.dima » 13.08.2009, 10:00

super!!! danke für die klasse infos :D
Kidi
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Beitrag #8 von Kidi » 13.08.2009, 19:08

Danke für diesen höchst informativen Beitrag. Hast du eigentlich schon einmal darüber nachgedacht, ein Buch zu veröffentlichen. Ich könnte mir vorstellen, daß du rasch einen Verlag findest, der dir dein Manuskript aus den Händen reißt.:)
Solo
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Beitrag #9 von Solo » 13.08.2009, 19:33

Beitrag mal wieder Spitze! Danke Chief
Aber Woodys finde ich persönlich :kotz:
Holz am Auto geht in meinen Augen gar nicht.

Solo
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Haegar
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Beitrag #10 von Haegar » 16.08.2009, 15:46

Danke fuer den Bericht Michael, obwohl ich mich Solos Meinung anschliessen muss.
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Ulrich
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Beitrag #11 von Ulrich » 17.08.2009, 01:00

Das war mal wieder "typisch Chief":
Schöne Bilder, und ein Beitrag, der auch dem "urwüchsichstem" Schwermetaller klar macht, das Holz am Auto durchaus einen ganz eigenen Reiz hat...

By the way...
@Solo und Hägar:

Eure Meinung in allen Ehren, aber:
Warum heißt ein Armaturenbrett eben "Brett"?
Wieso wird bei den s. g. "Edelschmieden" häufig Holz in höchster Vollendung verbaut?

Na klar doch: Weil´s das Auge erfreut...


Technisch gesehen ist Holz natürlich überholt - Stahl hat sich im Chassis-Bau durchgesetzt: Ist stabiler und billiger...dennoch:

Hattet ihr auch schon mal das selten gewordene Vergnügen, ein "Holz-Auto" über ´ne kurvige Landstraße zu knüppeln?
Ein Hanomag "Kommißbrot" ist da schon recht abenteuerlich - und das bei Tempi, über die heute jeder "Fuffie-Rennroller-Pilot" kichert...
Aber, macht das mal mit ´nem Morgan +8 der alten Machart:
Dessen Chassis ist aus Holz gezimmert, die wirklich notdürftige "Karosse" deckt nur das Nötigste ab und bietet zwei..ähm...Notsitzen Platz...
Dafür ist der Motor ein 4,2-Liter V8....eine Buick-Entwicklung...

Der Motor brüllt, das Getriebe "singt", das Differential bringt einen leichten "Chorus" in die Kulisse...
...und in den "geilsten Kurven" mischt sich ein ungewohntes Geräusch:

Das Chassis "knarzt"...

Eine unbezahlbare "Erfahrung"...

(den "Kurven-Schweiß" von der Stirn weg wisch..)

Ulrich
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Beitrag #12 von Haegar » 17.08.2009, 01:11

Sorry Ulrich, dass es nicht richtig ruebergekommen ist. Holz hat natuerlich am Armaturenbrett seine Berechtigung, wenn es edel gemacht ist. Bei den Amis war es aber meistens Plastikholz und aussen hatte das Holz ab den 50ern auch keine tragende Funktion mehr, ausser dass es nostalgisch aussah.
Da war es wenigstens noch teilweise Holz, aber bei allen spaeteren Woodys war es Kuechenfolie und sowas ist einfach in meinen Augen kitschig.
Zum Morgan muss ich dich leider berichtigen - nicht das Chassis selber war aus Holz, sondern der Rahmen der Karosserie und beim Plus 8 war bei 3,9 Liter Schluss, den 4,2er gab es nur im RangeRover.
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Beitrag #13 von Ulrich » 17.08.2009, 21:10

Nunja, ist auch schon lange her, das Abenteuer mit dem Morgan...könnte sein, das da was in meinen Erinnerungen durcheinander geraten ist - anyway:
Einen "echten" Woody zu bauen, ist eine sehr aufwändige Arbeit, die ein hohes Maß an Präzision und "Können" erfordert - und das wurde irgendwann zu teuer: So etwas "kann" kein Roboter - schon gar nicht in den 50ern...
Die meisten echten Woodies wurden ja als "Handwerker-Autos" übel zugerichtet, und verfaulten dann irgendwo im Sumpf...
Daher ist ein gutes/sachgerecht restauriertes Exemplar heute kaum zu beschaffen - und fast unbezahlbar...

Der US-Amerikaner als solcher ist ja seiner "Geschichte" tief verwurzelt, und hat obendrein einen Sinn für unglaublichen Kitsch:
Also blieb man der Woody-Optik treu, klebte lustig Folie und Plastikleisten an die Autos...
Erinnert irgendwie an die "Saloons" im "Wilden Westen des 19. Jahrhunderts:
Vorne ´ne Riesen-Fassade, mit Stepwalk und Pferde-Parkplatz - dahinter ´ne simple Bretterbude - einem besseren Hühnerstall nicht unähnlich..

Ulrich
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Beitrag #14 von chief tin cloud*RIP* » 17.08.2009, 21:32

Beim Ford Model (1928-31) und den frühen V8 war einer der Unterschiede zwischen Standard- und Deluxe-Ausstattung bei geschlossenen Karosserien eine holzimitation auf Armaturenbrett und Seitenfensterrahmen (innen). Das Verfahren nannte sich Di-Noc und funktionierte fototechnisch. Das Armaturenbrett war immer das gleiche, offene Varianten (Di-Noc war wohl nicht wasserfest :D ) und Standard bekamen eben Lack drauf, die anderen Di-Noc. Das Verfahren wurde auch bei anderen Herstellern bis in die obere Mittelklasse verwendet - und bis in die frühen 50er. Findet man heute cool, ist aber bloss ein Vorläufer der Folie...
Übrigens wurden alle Facel-Véga mit ähnlichen Armaturtenbrettern ausgeliefert. Bis 1964 - bei einem der teuersten Autos seiner Zeit.
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Allmentux
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Beitrag #15 von Allmentux » 21.08.2009, 18:36

Ist das Di-Noc nicht auch ne Folie ? Gibs ja vom 3M heute immer noch.
Wenn mich net alles täuscht, hatte der Buick Roadmaster aus dne 90ern die auch drauf...

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